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Aktuelles

19.08.2021 | Energiewende mit 100% erneuerbaren Energien: Nachhaltig, sozial, zuverlässig!

Prof. Claudia Kemfert zu Gast in der Arbeitsgruppe Klima und Energie des UFO

Finn Nußbaum

Kurzbericht

Kurzbericht Termin der AGKE des Umweltforums mit Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert

Am 22.7. war Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert, die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt beim DIW und auch Mitglied des Hamburger Klimabeirates ist, bei einer Veranstaltung der Arbeitsgruppe Klima und Energie des Umweltforums mit dem Titel „Energiewende mit 100% erneuerbaren Energien. Nachhaltig, sozial, zuverlässig. Wie schaffen wir das?“ digital zu Gast.

Im Rahmen der Veranstaltung gab sie den über 30 Teilnehmer:innen, die sich trotz eines schönen Sommerabends zum Teil sogar aus dem Urlaub zugeschaltet hatten, einen spannenden Überblick über die zukünftigen Bedarfe an Erneuerbarer Energien, ein Energiesystem der Zukunft und zum Ende auch einige Empfehlungen für Maßnahmen anhand ihrer Forschungen.

Die Veranstaltung war, obwohl sie nur knapp eine Stunde dauerte, voll von spannenden Informationen und Zahlen. Die Basis des Vortrages von Frau Kemfert bildeten eine Reihe von Gutachten und Studien des DIW und weiterer Institute, die untenstehend verlinkt sind.

Die wesentlichen Aussagen lassen sich in Kurzform zusammenfassen:

1. Der Primärenergiebedarf der Zukunft wird nach neuen Untersuchungen des DIW nur die Hälfte des heutigen Bedarfs betragen. Kann das wahr sein? Vor allem Effizienzsteigerungen, kürzere Wege zwischen Erzeugung und Verbrauch und weitere Effekte, die die Nutzung erneuerbarer Energien mit sich bringen, sind dafür die Ursachen. Ein erstes Beispiel ist der Elektromotor beim Auto: Diesel und Benzin haben schon eine sehr hohe Menge Energie verbraucht, bevor sie überhaupt im Tank landen und auch bei der Verbrennung geht ein vergleichsweise großer Teil der Energie verloren. Der direkte Stromantrieb ist also insbesondere für den PKW-Verkehr (am besten noch mit Strom vom eigenen Dach) extrem energiesparend. Ein Beispiel bei der Wärmeerzeugung sind Wärmepumpen: Im klassischen Heizkessel wird aus einem Teil Endenergie (zB Erdgas) etwa ein Teil Wärme. Mithilfe von Wärmepumpen können unter bestimmten Bedingungen aus einem Teil Stromenergie sogar 3 Teile Wärme entstehen. Wird unser Primärenergiebedarf halbiert, so muss in Zukunft weniger Energie bereitgestellt werden, daher weniger Kohle importiert, kein Uran eingesetzt sowie weniger Erdgas genutzt werden.

2. Was bedeutet das aber für den Strombedarf? Durch die fortschreitende Sektorkopplung benötigen wir deutlich mehr Strom als heute. Szenarien sprechen von einer Vervielfachung des Bedarfes an (erneuerbarem) Strom, da ein klimaneutrales Energiesystem auf regenerativ erzeugtem Strom als Hauptsäule beruht. Ein erhöhter Strombedarf ist im Wahlprogramm der SPD formuliert - im Juni endlich hat auch der Bundeswirtschaftsminister diese Erkenntnis erlangt. Daran angepasste Ausbaupfade für Wind und PV fehlen jedoch. Auf die Diskrepanz zwischen den zu erwartenden Bedarfen an Erneuerbarer Energie für eine klimaneutrale Energieversorgung und die aktuellen Ausbaubemühungen des BMWi hat Frau Kemfert nochmal deutlich hingewiesen, was zur dritten wesentlichen Erkenntnis führt.

3. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deutlich forciert werden. Die bisherigen Ziele werden für den zu erwartenden Bedarf nicht ausreichen und selbst diese zu niedrigen Ziele werden aktuell nicht erreicht. Frau Kemfert nennt hier Zahlen von bis zu 30 GW PV und 10 GW Wind als erforderliche jährliche Zubaumengen. Sie bemängelt auch, dass der Ausbau insgesamt besser gesteuert und an eine realistische Bedarfsplanung angepasst werden muss. Auch dieses Problem hat die SPD erkannt, daher will Olaf Scholz den weiteren Umbau des Energiesystems zur Chefsache machen. Das aktuelle Vorgehen über Ausschreibungen hat sich hier nach Frau Kemferts Untersuchungen nicht bewährt, da die Beteiligung und auch die Realisierungsraten zu niedrig sind und wichtige Kriterien wie die Systemdienlichkeit von Anlagen nicht einbezogen werden. Konkret schlägt sie für den Windkraft-Ausbau daher eine verbesserte Beteiligung von Bürger:innen, beschleunigte Planungsverfahren, einen Verzicht auf Ausschreibungen mindestens für kleinere Anlagen und perspektivisch die Entwicklung eines „Marktwertmodelles“ unter Einbeziehung der Systemdienlichkeit vor (Dazu eine Studie des DIW, auf die CK hingewiesen hat: „ Anreize für die langfristige Integration von erneuerbaren Energien: Plädoyer für ein Marktwertmodell“, LINK: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.567164.de/17-42-1.pdf

Anm.: Die Veröffentlichung datiert aus 2017; die neuen Ziele für Klimaschutz, die der BT nach der Entscheidung des BVerfG von 4/21 beschlossen hatte, sind naturgemäß nicht berücksichtigt)

4. Die Preisgestaltung im Bereich des Energiesystems muss sich grundlegend ändern. Die natürliche Volatilität der Erneuerbaren kann über Flexibilitäten ausgeglichen werden, diese werden eine wesentliche Rolle im zukünftigen Energiesystem spielen. Für diese müssen aber entsprechende Anreize gesetzt werden. Systemdienliches Verhalten muss daher bei der Preisgestaltung berücksichtigt werden. Als positive Beispiele verweist sie hier auf Nachfrage auch auf die Ergebnisse des Projektes NEW 4.0 aus Hamburg. Eine mögliche, aktuell untersuchte Idee ist das sogenannte „nodal pricing“ (Der Begriff „Nodalpreise“ (Deutsch: Knotenpreise) bezieht sich darauf, dass eine vollständige Preisdifferenzierung auf der Ebene einzelner Netzknoten (in der Regel Transformatoren) stattfindet. S.a.: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.497518.de/15-9-3.pdf hier FN 11, S. 185), also lokale Strommarktpreise in Echtzeit. Daneben nennt sie bekannte Maßnahmen wie die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen und eine Anpassung des Netzentgeltsystems.

5. Eine wesentliche Lenkungswirkung kann über den CO2-Preis erzielt werden. Dazu muss dieser nach ihren Untersuchungen aber deutlich steigen, da erst dann die Vermeidungskosten und eine Lenkungswirkung erreicht werden. Als sozialen Ausgleich fordert sie eine Pro-Kopf-Prämie, die nach verschiedenen Untersuchungen machbar ist und die beste Ausgleichswirkung erzielt. Hier äußert sie eindeutige Verwunderung über die bisherige Zurückhaltung der SPD bei diesem Thema, auch wenn die Pro-Kopf-Prämie es in Form einer Prüfung in das Wahlprogramm geschafft hat. Zur konkreten Ausgestaltung liegen Vorschläge des DIW vor.

Im Anschluss an den Vortrag ergaben sich eine Reihe von Fragen quer durch alle Themenbereiche, die aufgrund beschränkter Zeit leider nicht alle beantwortet werden konnten. In ihren Antworten bekräftigte Frau Kemfert aber nochmal die folgenden Punkte:

· Die Klimaprämie sei sozial am ausgewogensten, andere Möglichkeiten belohnen zum Teil sogar nicht erwünschtes Verhalten.

· Neben dem Verzicht auf Ausschreibungen kann die Wiedereinführung einer festen Vergütung für kleine Windkraftanlagen den Ausbau beschleunigen.

· Der Ausbau der Übertragungsnetze muss sich stärker am Ausbau der Erneuerbaren orientieren, der Blick sollte hier auch häufiger auf die Verteilnetze gehen. Insgesamt wies sie darauf hin, dass es an einer gesamtheitlichen Energieplanung fehlt und vor dem Hintergrund der Sektorkopplung auch z.B. Gasnetze in die Planung miteinbezogen und gemeinsam geplant werden sollten.

Am Ende dieses Abends stehen neben vielen spannenden Informationen und Zahlen zur Energiewende auch eine Reihe von Ansätzen für die weitere Arbeit der Arbeitsgruppe. Die AGKE bedankt sich daher bei allen Teilnehmer:innen und natürlich insbesondere bei Frau Kemfert für die gelungene Veranstaltung. Interessierte sind bei den Sitzungen der AGKE immer gerne willkommen – am besten einfach über das Kontaktformular der Homepage Interesse bekunden.

FN 9.8.

Folgende LINK-Liste wurde von Prof. Kemfert zur Verfügung gestellt.

Eine Auswahl der Studien zur Sicherung der Grundlast durch erneuerbare Energien

UBA (2012) Nachhaltige Stromversorgung der Zukunft https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/4350.pdf
SRU (2012) Den Strommarkt der Zukunft gestalten https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/02_Sondergutachten/2012_2016/2013_11_SG_Strommarkt_der_Zukunft_gestalten.pdf?__blob=publicationFile&v=17

Studien über ein Energiesystem aus 100 % erneuerbarer Energien, das Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit sicherstellt
SRU (2011) Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung
https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/02_Sondergutachten/2008_2012/2011_07_SG_Wege_zur_100_Prozent_erneuerbaren_Stromversorgung.html

Zum Flächenverbrauch
BfN 100 % erneuerbare Energien naturverträglich https://www.bfnde/fileadmin/BfN/erneuerbareenergien/Dokumente/BfNErneuerbareEnergienReport2019_barrierefrei.pdf

Emission Pathways Towards a Low-Carbon Energy System for Europe: A Model-Based Analysis of Decarbonization Scenarios
https://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.594134.de

Flexible electricity generation, grid exchange and storage for the transition to a 100% renewable energy system in Europe, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960148119302319

EWG: 100% Renewable Electricity Worldwide is Feasible and More Cost-Effective than the Existing System
http://energywatchgroup.org/new-study-100-renewable-electricity-worldwide-feasible-cost-effective-existing-system

Can we get 100% of our energy from renewable sources? New article gathers the evidence to address the sceptics
https://www.lut.fi/web/en/news/-/asset_publisher/lGh4SAywhcPu/content/can-we-get-100-of-our-energy-from-renewable-sources-new-article-gathers-the-evidence-to-address-the-sceptics
Gern möchte wir noch auf Prof. Kemferts Bücher hinweisen (erschienen im Murmann-Verlag) :
Das fossile Imperium schlägt zurück - warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen
http://www.murmann-verlag.de/buecher/das-fossile-imperium-schlaegt-zurueck.html


Mondays for Future
https://shop.murmann-verlag.de/de/item/claudia-kemfert-mondays-for-future

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des DIW unter unserem Schwerpunktthema
http://www.diw.de/de/diw_01.c.100363.de/forschung_beratung/nachhaltigkeit/umwelt/verkehr/energie/energie_verkehr_umwelt.html
sowie auf der persönlichen Website von Frau Prof. Kemfert http://www.claudiakemfert.de/publikationen.html